Sicherlich heben nun viele von euch die Augenbrauen. Gibt es ein “zu Nahe” in der Beziehung? Eine mehr als nur faszinierende Überschrift, die sicherlich für so einige Verwirrung sorgt. Immerhin kann man sich in einer liebenden Beziehung doch nicht zu nah sein, oder? Je näher man sich kommt und, umso mehr man über den anderen weiß, umso besser ist es doch, oder?
An sich sind diese Denkansätze schon richtig. Je mehr man über den anderen weiß und, umso mehr man sich in einer Beziehung unterhält und mit dem anderen beschäftigt, umso mehr Ressourcen bieten sich einem, die man nutzen kann, um die Beziehung noch besser florieren zu lassen. Denn jede Information über euren Partner, jede Meinung, jede Erfahrung, die ihr berücksichtigt und über die ihr Bescheid wisst, hilft nicht nur dabei, Fettnäpfchen zu vermeiden, sondern euch auch mehr auf euren Gegenüber einzulassen und einzuspielen.
Also die perfekte Voraussetzung für Teamarbeit. Aber kann man es auch mit der Teamarbeit übertreiben?
Zu viel des Guten tut nicht gut
Wie so vieles im Leben kann man auch hier diese Frage mit einem klaren „Ja!“ beantworten und danach sofort hinterherwerfen „Die Dosierung macht es halt!“. Natürlich kann man an sich von seinem Partner nicht zu viel haben. Aber jeder kennt wahrscheinlich das Gefühl, auch mal seine Ruhe haben zu wollen. Diese Tage, an denen man mal etwas Zeit für sich haben möchte und den Partner, ohne große Begründung, einfach mal nicht so nahe um sich herum haben möchte.
Dies muss gar keinen bösartigen oder verletzenden Hintergrundgedanken haben, sondern ist, wie viele von euch sicherlich ebenfalls bestätigen können, einfach eine Laune. Immerhin ist es ganz normal, seine Zeit auch für sich, seine Hobbys und/oder Familie/Freunde nutzen zu wollen. Manchmal kann auch eine Übersättigung an gemeinsamen Tätigkeiten oder das stetige Aufeinanderhocken der Grund sein, warum genau dieses Bedürfnis plötzlich auftritt. Dies muss noch lange nicht das Ende der Beziehung vorhersagen. Ganz im Gegenteil.
Zeit für sich zu haben, lädt nicht nur die eigenen Batterien auf, sondern die kurzzeitige Distanz vom Partner wirkt auch wie ein kleiner ‘Reset‘ und lässt sich einen, sobald das Bedürfnis der Alleinzeit genügend befriedigt wurde, wieder mehr auf den Partner freuen. So gesehen ist Zeit alleine zu verbringen, nicht nur wichtig für uns als einzelne Individuen, sondern auch super für unsere Beziehungen.
Was passiert aber, wenn man keine Alleinzeit mehr möchte? Oder wenn man nicht das Gefühl hat, dass so etwas nötig ist? Dies mag vielleicht merkwürdig für einige klingen, aber dies sind Gedanken, die einigen Paaren wirklich im Kopf herumschwirren. Und diese sind grundsätzlich erst einmal gar nicht verkehrt. Denn es gibt durchaus Menschen in Beziehungen, die diese Alleinzeit nicht brauchen oder wollen.
Anstatt sich alleine in ein Zimmer zu verziehen, alleine Freunde/Familie zu besuchen oder einfach mal alleine ein Wochenende wegzufahren, schaffen diese Menschen es problemlos, all diese Dinge mit ihrem Partner zusammen zu machen und sich trotzdem so erholt zu fühlen, als wenn sie gerade alleine weg gewesen wären. Die Zeit, die sie alleine verbringen könnten, um sich zu erholen, brauchen sie nicht, weil sie denselben Effekt auch haben, wenn der Partner bei ihnen ist.
In dieser Art der Beziehungen sind beide Parteien so gut miteinander verknüpft oder arbeiten so gut miteinander zusammen, dass sie entweder kaum oder gar nicht alleine sein müssen, um sich vom anderen auch mal zu ‘erholen‘ oder zu ‘distanzieren‘. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Beziehung solcher Personen besser ist, sondern dass beide Parteien vom Charakter her oder von ihrer Beziehungsdynamik die richtige Wellenlänge gefunden haben, dass sie auch miteinander die komplette Bedürfnisbefriedigung erlangen können.
Immer zusammen, nicht alleine
Das Paar bestreitet zusammen Hobbys, weil sie sich so ähnlich sind, besuchen beide Freunde/Familie, weil sie sich beide mit ihnen so gut verstehen oder sitzen auch in einem Zimmer nebeneinander her, machen komplett andere Dinge und genießen einfach die Anwesenheit des anderen, während sie sich nebenbei erholen. Was einige Paare nur teilweise oder manchmal schaffen, können diese Paare im Dauerlauf praktizieren und dies ohne groß miteinander zu streiten oder dass die Anwesenheit des anderen sie stresst/unter Druck setzt.
Ein überaus praktisches, vielleicht sogar schon beneidendes Beziehungsmodell, was nur durch volles Vertrauen, harte Arbeit und vor allem das Genießen der Zweisamkeit erreicht wird. Aber genau, weil in dieser Zusammenstellung viel zusammen gemacht wird, kann es auch die Beziehung gleichermaßen gefährden. Denn wenn Pärchen, sei es nun in besagter Beziehungskonstellation oder in normalen Beziehungen zu viel Zeit miteinander verbringen, kann es durchaus passieren, dass man den Part der ‘Übersättigung‘ entweder überspringt, gekonnt ignoriert oder ihn einfach wie bei frisch verliebten Paaren komplett aussetzt und stattdessen zu einer ‘Einheit‘ fusioniert.
An sich ist dies keine schlechte Sache, immerhin bietet die Beziehung in solchen Fällen so viele Möglichkeiten, dass es wirkt, als wäre alles andere nebensächlich. Man kann sich, ohne sich Zeit für sich, Freunde, Familie oder andere Sachen zu nehmen, einfach fallen lassen. Es macht sich das Gefühl breit, dass alles, was man braucht, nur die Partnerschaft ist, denn alles, was einen glücklich macht, ist genau hier. Beim Partner.
Ein beflügelnder, aber gleichzeitig auch gefährlicher Gedanke. Denn so schön und romantisierend eine Beziehung und der Partner auch auf einen wirken kann, man braucht weit mehr als das, damit man glücklich wird. Man braucht auch andere Personen im Leben, man muss irgendwie Geld verdienen, der Haushalt darf nicht auf der Strecke bleiben, so wie die eigenen Kinder/Familie und so viele andere Pflichten, um die man sich stets kümmern muss oder sollte.
Auch die eigenen Ziele. Wenn man allerdings so viel Zeit mit dem Partner verbringt, dass man das Gefühl hat, nichts anderes mehr zu brauchen und plötzlich alles nur noch zusammen macht, kann dies nicht nur den eigenen Blickwinkel vernebeln, sondern auch die eigenen Bedürfnisse sabotieren. Man kann solch einen Zustand gut mit der Zeit vergleichen, als man noch frisch verliebt war. Man macht alles zusammen, hockt stets aufeinander und zwar so viel, dass die Freunde schon richtig genervt von einem sind, vor allem weil man so gut wie nie noch alleine, ohne den Partner irgendwo aufschlägt.
Nur ist diese Phase hier bereits schon lange überwunden und hat sich so weiterentwickelt, dass die äußerlichen Attribute der Verliebtheitsphase geblieben bzw wieder aufgetaucht sind. Allerdings dieses Mal nicht mehr unter dem Vorwand von Hormonen, die zu dem Zeitpunkt der eigentlichen Verliebtheitsphase wie wild produziert werden. Stattdessen hat die ‘Gemütlichkeit‘ in der Beziehung hat mit diesem Effekt eine Menge zu tun.
Man könnte auch einige andere Dinge wie ‘Schutz in/durch die eigene Beziehung‘ für dieses System der Unzertrennlichkeit als Begründung nennen, so wie viele andere Möglichkeiten, aber hauptsächlich geht es darum, dass beide Partner sich am wohlsten fühlen, wenn sie zusammen sind und dass dieser Zustand dauerhaft genau deswegen angestrebt wird. Manchmal auch ohne Rücksicht auf die Umgebung des Paares.
Lieber gleich im Doppelpack
Ob es nun ein ‘Männer-Sit-In‘ mit den besten Freunden ist, ein Filmabend mit den besten Freundinnen oder sonst etwas, entweder geht das betroffene Paar gar nicht erst zu diesen Events oder nimmt (mit oder unangekündigt) seine bessere Hälfte einfach mit. Dies kann besonders in Freundes- und Familienkreisen für Verwirrung und Ärger sorgen.
Denn das Paar ist, wie bereits beschrieben, eine unzerbrechliche Einheit geworden. Nichts scheint man mehr mit dem einzelnen Individuum machen zu können oder wenn dies noch möglich sein sollte, geht es oft nur um den Partner, kommt es zu gemeinsamen Gesprächen. Es fühlt sich so an, als würde das Paar sein gesamtes Leben nach dem anderen Partner auslegen. Als gäbe es keine ‘äußeren Faktoren‘ mehr, die für beide noch zählen würden, Hauptsache, man ist zusammen.
Und genau ab diesem Punkt wird diese besagte Einheit, die unter der passenden Dosierung dennoch sehr beflügelnd in einer Beziehung sein kann, zum Problem. Besonders, wenn diese über einen längeren Zeitraum läuft. Eine Beziehung kann nämlich nicht nur in sich selbst funktionieren. Wie bereits erwähnt, gibt es genug äußerliche Faktoren (Job, Freunde/Familie etc.) auf die man achten muss. Nicht jedes Problem, jede Angst, jedes Gefühl der Unerfülltheit kann von der Beziehung aufgefangen werden.
Euer Partner kann euch noch so gut kennen und auf euch eingespielt sein, aber ab dem Moment, wo ihr nur noch für die Beziehung und den Partner lebt, wird unterbewusst die eigene Entfaltung, Entwicklung und sogar man selbst zusammen mit der Beziehung sabotiert. Denn egal wie viel Schutz, Liebe und Rückhalt die eigene Beziehung gibt, es werden immer wieder Situationen im Leben auftauchen, die nicht durch den Partner gelöst werden können oder dadurch, dass man einfach zusammensitzt und die gemeinsame Nähe genießt.
Natürlich kann dies helfen und einen Mut oder Rückhalt geben, aber dennoch ist man selbst ja noch ein selbstständiges Individuum, das lernen muss, diesen Kraftaufwand, um Probleme zu bekämpfen, auch aus sich selbst zu holen. Man kann sich nicht ständig wieder an die Batterie der Beziehung anschließen und hoffen, dass man von dort aus genug Strom ziehen wird, um das Leben zu ‘überleben‘. Dies ist natürlich eine gängige und völlig legitime Methode, wenn man dies ab und zu praktiziert, aber als Dauerlösung nur mit dem ‘Strom der Liebe‘ durch das Leben zu laufen, lässt einen sich selbst verlieren.
Denn wie soll man lernen, noch eigene Kraft zu schöpfen? Wie soll man lernen, auf sich selbst stolz zu sein und sich auf seine eigenen Fähigkeiten zu verlassen? Und wie soll man noch rational denken, wenn einem alles irgendwann egal ist, Hauptsache man hat den Partner? Solange das ‘Wir‘ funktioniert, ist das ‘Ich‘ nicht nötig. Und das ist ein großer Fehler!
Die eigene Individualität sollte nicht vergessen werden
Denn wir Menschen müssen uns individuell auch außerhalb der Beziehung weiterentwickeln. Wir müssen gefördert werden, wir brauchen, so hart es auch klingt, Probleme, um an uns selbst zu wachsen. Auch andere Menschen, nicht nur der Partner, sind wichtig, um sich nicht nur zu reflektieren, sondern auch, um seine sozialen Batterien aufzuladen und anhand anderer zu lernen. Sich in seiner Beziehung von allen abzuschirmen, wird individuell nur Probleme mit sich ziehen, wenn dies bis hin zum ‘Extremen‘ praktiziert wird.
Wenn man nur noch Sachen zusammen macht, man mehr als ‘Wir‘ agiert als ein einzelnes Individuum oder sein Leben komplett nach dem Partner auslegt. Spätestens dann wird den Menschen das bewusst, wenn die Partnerschaft oder der Partner selbst nicht mehr als ‘Verdrängungsmittel‘ ausreicht. Irgendwann kommt nämlich die Unruhe.
Es passiert etwas, was selbst die gemeinsame Zweisamkeit nicht auffangen kann, die Partnerschaft reicht am Ende nicht mehr aus oder noch schlimmer, der Partner selbst betrügt irgendwie das Vertrauen. Die daraus resultierende Unsicherheit wird alles andere, wovor man vorher Angst hatte, in den Schatten stellen. Denn gerade, wenn die Beziehung als ‘sicherer Raum‘ benutzt wurde, der als ‘Allheilmittel‘ dienen sollte, um sich vor allem zu schützen und dieser dann von innen ‘Unsicherheiten‘ aufweist, sitzt man im eignen Gefängnis.
Wer sich vorher nicht mit sich selbst und seinen Ängsten beschäftigt und all diese Probleme zum Beispiel durch das innige Verhältnis mit dem Partner wegkompensiert, wird in solch einer Lage nicht genug ‘Erfahrungen‘ gesammelt haben, um hier unbeschadet wieder herauszukommen. Anstatt sich mit den Problemen zu beschäftigen, sich zu reflektieren und aus Fehlern zu lernen und daran zu wachsen, war die ‘Flucht‘ in die Beziehung immer der erste Schritt und genau diese weist nun dasselbe unsichere Muster des Lebens, aus dem man eigentlich entkommen wollte.
Menschen, die diese Lage nicht aushalten können oder nicht wissen, mit so etwas umzugehen, einfach weil sie ihr eigenes ‘Ich‘ in der Beziehung so lange vernachlässigt haben, werden höchstwahrscheinlich auch hier wieder die Flucht suchen und sich vielleicht sogar trennen. Natürlich reden wir hier jetzt von einem extremen Beispiel der Beziehungseinheit, aber dies sind logische Konsequenzen und vor allem Hintergründe, warum diese Art der Berziehungseinheit in einer Partnerschaft überhaupt zustande kommt.
Und sie ist auch ein perfektes Beispiel dafür, warum der Übergang von ‘Wir machen viel zusammen‘ zu ‘Wir machen, alles zusammen!‘ zwar manchmal wünschenswert ist, aber vor allem auf langer Dauer gefährlich werden könnte, wenn man nicht aufpasst. Gemeinsame Nähe, zusammen Dinge zu machen, sich auf den anderen verlassen zu können, das Gefühl zu haben niemals jemand anderen in seinem Leben zu brauchen, all dies sind wundervolle und wunderschöne Gedanken und Gefühle, die man sich definitiv erhalten sollte.
Dennoch sollten sie keinen Ersatz für das eigene Leben bilden. Zeit für sich zu haben, ist manchmal unglaublich wichtig. Sich mit anderen zu treffen und zu unterhalten, ist ebenso wichtig. Dass der Rest des Lebens, trotz der Beziehung nicht vernachlässigt wird, ist auch unfassbar wichtig. So wunderschön eine Beziehung auch sein kann, sie sollte nicht das ‘Allheilmittel‘ aller Probleme werden.
Denn wenn diese Stütze aus irgendeinem Grund mal wegbrechen sollte, wird dies noch viel größere Probleme mit sich ziehen. Aus einer Beziehung und dem Partner Kraft zu ziehen, ist völlig normal und sollte auch Standard in einer gut funktionierenden Partnerschaft sein, aber nur deshalb zu leben, ist alles andere als eine gute Idee.
Bremst euch nicht gegenseitig aus
Beherzigt dies also, wenn ihr das nächste Mal das Gefühl habt, dass sich aus eurem ‘Ich‘ ein dauerhaftes, viel zu lang andauerndes ‘Wir‘ bildet, dass durchaus genau dann auftauchen kann, wenn es einem von euch oder euch beiden gleichzeitig nicht gerade gut geht (Kompensation). Nehmt die Zeichen der ‘Übersättigung‘ wahr, die in einer Beziehung ganz normal sind und macht nicht einfach nur weiter, weil ihr denkt, ihr müsst zusammen funktionieren, aus Angst, es ‘einzeln‘ nicht mehr zu können.
Überspielt es nicht, wenn es mal nicht gut bei euch läuft, ob nun alleine oder in der Beziehung, sondern nutzt euren Partner, um darüber zu sprechen. Macht euch Luft, kommuniziert und reflektiert, damit euer ‘Ich‘ auch weiter gefordert bleibt. Dies geht auch gerne mit anderen Menschen, die euch nahe stehen und euch manchmal auch eine andere Perspektive aufzeigen können.
Macht mal eine Pause voneinander, wenn ihr merkt, dass es zu viel wird und nehmt Einladungen von Freunden/Familienmitglieder gerne an, um euch selbst auch mal wieder zu fordern und andere Eindrücke und Meinungen zu erleben, während ihr euch dabei mitreißen lasst. Lebt euch selbst neben eurer Beziehung aus und habt keine Angst davor, zu eurem Partner auch mal ‘Nein‘ zu sagen, denn dies ist euer gutes Recht.
Jeder hat ein Recht auf Alleinzeit und persönliche Entfaltung. Man muss nicht immer alles mit dem Partner zusammen machen. Wenn man es kann, super, aber auch hier sollte man wieder darauf achten, sich damit nicht in der Beziehung einzusperren. Das Leben ist so viel mehr als eine Beziehung, auch wenn es unbestreitbar einer der schönsten Gefühle dieser Welt auslöst. So gut sogar, dass eine ‘Sucht‘ danach plötzlich gar nicht mehr so unlogisch klingt. Wir Menschen können nach allem süchtig werden. Auch nach ‘Liebe‘ und die damit einhergehenden Vorteile wie ‘ein geschützter Raum‘, ‘ständiger Rückhalt‘ und ‘bedingungslose Akzeptanz‘ sind da keine Ausnahme.
Passt also auf, wenn ihr Mal zu lange aufeinanderhockt und die Gemütlichkeit der Zweisamkeit langsam beginnt, euch selbst auszubremsen. Denn alles, so schön es auch aussieht oder sich anfühlt, kann bei einem viel zu großen Konsum uns nicht nur von den anderen schönen Dingen abhalten, sondern nebenbei noch das verwirken, was diese eine bestimmte Sache überhaupt ‘so schön‘ für uns gemacht hat.